20.07.2019 Pfullendorfer Bahnreaktivierung: kostengünstiger Bahnbetrieb unter kommunaler Regie – Vortrag von Frank von Meißner

Rückblick von Dr. Peter Hartmann

20.07.2019    Pfullendorfer Bahnreaktivierung: kostengünstiger Bahnbetrieb unter kommunaler Regie
                          Vortrag von Frank von Meißner

Man darf wohl sagen, dass freundschaftliche Beziehungen zwischen Frank von Meißner und den Verkehrsfreunden Stuttgart spätestens seit unserer Tagesexkursion zum sogenannten Ringzugbetrieb im April 2004 bestehen. Herr von Meißner, damals in Diensten der Hohenzollerischen Landesbahn, führte zeitweise unseren Sonderzug, mit dem wir die Strecken zwischen Rottweil, Trossingen, Villingen, Tuttlingen und Zollhaus-Blumberg befuhren, und wir haben ihn bereits damals als Eisenbahner nicht nur von Beruf, sondern aus Berufung kennengelernt. Im Oktober 2017, nunmehr Eisenbahnbetriebsleiter bei der zuständigen SSB, hat er uns die der großen Nachfrage wegen zweifache und sogar von der Tagespresse gewürdigte Bereisung der Ludwigsburger Industriebahn mit der Kornwestheimer Schienenbus-Garnitur „Roten Flitzer“ ermöglicht.

Uns war auch bekannt, dass er eine namhafte Rolle bei der Rettung und Wiederbelebung der lange endgültig verloren geglaubten Strecke Altshausen – Pfullendorf spielte. So haben wir mit großer Freude sein Angebot angenommen, darüber in einer Saalveranstaltung der Verkehrsfreunde zu berichten. Den ursprünglich geplanten Termin im Oktober 2018 musste er allerdings wegen einer Unfallverletzung in den Sommer 2019 verschieben.
Ungeachtet der derzeitigen tropischen Temperaturen wollten 53 Verkehrsfreunde den Bericht über die erstaunliche „Wiederauferstehung“ der den meisten wohlbekannten Pfullendorfer Bahn nicht versäumen und nahmen dafür teilweise lange Anreiseweg (Süd-Schwarzwald, München und Schweiz!) in Kauf. Sie erlebten aus erster Hand einen fesselnden Bericht vom Kampf einer Gruppe von überzeugten Bahnenthusiasten mit scheinbar unüberwindlichen Widerständen, überbordender öffentlicher Regelungswut – und knappen finanziellen Ressourcen, der mit viel Zielstrebigkeit, Kreativität und Hartnäckigkeit bis heute zu einem bewundernswerten Ergebnis geführt hat.

Zu allgemeiner Heiterkeit trug unser Ehrenmitglied Gerhard Schnaitmann mit Anekdoten vom „Umgarnen“ einflussreicher Landespolitiker bei, die von der Notwendigkeit des Erhalts einiger, seinerzeit abgeschriebener württembergischer Nebenstrecken überzeugt werden konnten. Der anwesende Andreas Kleber, ehedem Chef der „Kleber-Post“ in Saulgau, bestätigte schmunzelnd die Rolle gewisser kulinarischer Einflussfaktoren bei dieser Überzeugungsarbeit.

Der Referent gab zu Beginn seines Vortrags zunächst einen kurzen Rückblick auf die Entstehungs- und spätere Niedergangs-Geschichte der reaktivierten Strecke: Historisch ist die Linie Schwackenreute – Pfullendorf – Altshausen (– Aulendorf) eine Nebenlinie der von Baden in den 1870er Jahren mit (unrealistisch) großen Erwartungen vorangetriebenen Durchgangslinie (Radolfzell –) Stahringen – Mengen, die eine Querverbindung zwischen der Bodenseeregion und der württembergischen Donautalbahn mit Anschluss nach Ulm und Bayern herstellen sollte. Im Interessen-Gerangel mit den preußischen Hohenzollern erhielt sie in Krauchenwies noch einen Ast nach Sigmaringen. Während diese Linie bis kurz vor Mengen also in badischer Regie gebaut und betrieben wurde, kooperierte Baden bei der Seitenlinie Schwackenreute – Altshausen mit Württemberg, das den östlichen Abschnitt Pfullendorf – Altshausen baute. Konsequenterweise bildete Pfullendorf denn auch noch bei der DB die Direktionsgrenze Karlsruhe/Stuttgart. Die badischen Linienteile wurden durchgehend 1873 in Betrieb genommen, der württembergische Abschnitt Pfullendorf – Altshausen folgte 1875.

Schnell musste man sich aber deren geringe wirtschaftliche Bedeutung eingestehen und stellte sie bereits 1879 auf Nebenbahnbetrieb um. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie bald in den Strudel des Nebenbahnsterbens gezogen: Während die Hauptlinie ab 1972 Personenverkehr nur noch zwischen Radolfzell und Stockach aufwies, gab es zwischen Pfullendorf und Altshausen bereits ab 1964 Schienenersatzverkehr. 1971 wurde der Personenverkehr dort ganz eingestellt, und der Abschnitt Pfullendorf – Schwackenreute wurde 1979 im Gesamtverkehr stillgelegt, die Gleise wurden (allerdings erst später) abgebaut.

Im Güterverkehr sah es auf „unserer“, also der ehemals württembergischen, Bahn noch viele Jahre besser aus. Hauptgrund war der in Pfullendorf ansässige Küchenhersteller ALNO, der ein wichtiger Bahnkunde blieb und 1970 sogar ein Containerterminal mit 750 m Anschlussgleis bekam. Bilder aus dieser Zeit zeigten den regen Güterverkehr mit Dieselloks der DB und HzL. Auch gab es in den 1980er Jahren allgemein starken Wagenladungsverkehr und Ölverladung. Das alles änderte sich schlagartig, als die Mehdorn-DB unter dem Schlagwort „MORA C“ Kahlschlagsanierung im Güterverkehr in der Fläche betrieb und 2002 auch zwischen Altshausen und Pfullendorf den planmäßigen Güterverkehr einstellte. Mit der formalen Streckenstilllegung nach § 11 AEG (Allgemeines Eisenbahngesetz) schien das Schicksal unserer Strecke besiegelt. Aber auch auf dem an sich prosaischen Eisenbahngebiet gibt es offenbar zuweilen Wunder, hinter denen freilich menschliche Akteure stehen, und wie das ging, erzählte Frank von Meißner im Hauptteil seines Vortrags.

Eine zentrale Figur der Geschichte war offenbar der bahnaffine Bürgermeister von Pfullendorf, der sich mit dem Verlust der Strecke nicht abfinden wollte und die Unterstützung der Nachbarkommune Ostrach fand. Beide Gemeinden zusammen pachteten kurzerhand im Jahre 2005 die Strecke mit dem Ziel der Trassensicherung, was die Übernahme der Sicherungs- und Haftungspflichten beinhaltete. Zur Institutionalisierung wurde eine Interessengemeinschaft (IG) Bahn aus Anliegerkommunen, Landkreisen, Regionalverband und lokalen Unternehmen gegründet.

Erster Schritt der Streckenaktivierung war dann 2008 die Herrichtung des Pfullendorfer Teils des Keilbahnhofs Altshausen, um Holzverladung für das dortige Sägewerk durchzuführen. Dann begann ein Wettlauf mit der Zeit: Im Vorfeld des Radfahr-Großereignisses „Tour de Ländle“ 2009, das „Bahnanschluss“ haben sollte, musste unbedingt der von der Straßenbauverwaltung geplante Bau eines Dammes in Pfullendorf quer über die Strecke verhindert werden. Wenn der alternative Bau einer Brücke zu Lasten der Straße gehen sollte, musste die Bahn auf ganzer Länge von 27 km zwischen Altshausen und Pfullendorf wieder in Betrieb gehen.

Dies geschah tatsächlich in der Form einer regionalen öffentlichen Bahn mit der Stadt Pfullendorf als deren Betreiber. Damit war es aber nicht getan: Um die tatsächliche Befahrbarkeit der Strecke zu erreichen, musste diese freigeschnitten werden, Gleislagemessungen mussten durchgeführt, Brücken inspiziert und Signalschilder (wieder) aufgestellt werden. Ferner war eine funktionierende Betriebsorganisation nachzuweisen. In absoluter „Low Budget“-Manier und in Zusammenarbeit mit Bürgermeistern und Landeseisenbahnaufsicht gelang drei nebenamtlichen Eisenbahnbetriebsleitern dieser Kraftakt. Dabei gab die Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg als öffentlicher SPNV-Aufgabenträger engagiert Flankenschutz, und die Anwohner begleiteten die Arbeit mit Sympathie. Am 29.07.2009 kam die ersehnte Genehmigung des Verkehrsministeriums zur Betriebsaufnahme, und am 31.07.2009 brachten „Tour de Ländle“-Sonderzüge 500 Radfahrer nach Pfullendorf. Die Erzählung Gerhard Schnaitmanns, wie das gelang, muss man gehört haben!

Nun konnte es weitergehen: In den Jahren 2010 bis 2012 erwachte die Strecke sukzessive aus ihrem Dornröschenschlaf. Die Verkehrsverbünde bodo (Bodensee Oberschwaben Verkehrsverbund) und naldo (Verkehrsverbund Neckar-Alb-Donau) brachten ihr touristische Sonderzüge, und die vom Land bestellten „Radexpress Oberschwaben“-Ausflugszüge verkehren seit 2011 regelmäßig von Mai bis Oktober an jedem zweiten Sonn-/Feiertag zwischen Aulendorf und Pfullendorf. Gefahren wird mit der Baureihe 628.

In der Urlaubsregion Bodensee-Oberschwaben wird dieses Angebot systematisch beworben. Pro Jahr nutzen etwa 2.500 Fahrgäste mit 700 Fahrrädern das Angebot. Schrittweise wurde die Strecke ertüchtigt: In Pfullendorf entstand der Haltepunkt „Stadtgarten“ als (stadtnäherer) Ersatz für den ursprünglichen Bahnhof, der dem Abbau der Strecke nach Schwackenreute zum Opfer gefallen war. Die Bahnsteige in Ostrach und Burgweiler wurden wieder in Betrieb genommen.

Dann kam 2015 erneut ein großer Schritt nach vorn. Um in den Genuss öffentlicher Unterhaltungszuschüsse zu kommen, mussten die Kommunen nicht nur Betreiber, sondern auch Eigentümer der Bahn sein. Was zunächst kaum möglich erschien, gelang: Sie kauften der DB (nach einigem Hin und Her über den Preis und geduldiger Überzeugungsarbeit der Aktivisten in den zuständigen Gremien) die Bahnstrecke Altshausen – Pfullendorf für 300.000 € ab und können jetzt als „richtige“ Privatbahn auftreten.

Seit 2017 ist auch der Güterverkehr – in bescheidenem Maße – in Gang gekommen. 2017 und 2018 wurden Rundholzzüge ab Altshausen und Burgweiler (wo man mit einfachen Mitteln eine Ladestraße angelegt hat) nach Bayern gefahren. 2019 gibt es umgekehrt regelmäßige Holzzüge nach denselben Orten sowie versuchsweise Düngemitteltransporte nach Altshausen. An dieser Stelle hob der Referent die Vorteile des Schienentransports im Allgemeinen und die flexible und schnelle Abwicklung durch die Pfullendorfer kommunale Bahn im Besonderen hervor. Noch Zukunftsmusik sind die aktuellen Pläne der Firma BoxTango, die Containerdienste von den Nordseehäfen nach Südwestdeutschland, Vorarlberg und in die Ostschweiz anbieten will und dabei u.a. in Ostrach ein regionales Containerterminal einrichten will.

Mit einem Sonderzuschussprogramm des Landes zur Aufwertung der Stationen und der Fahrplanverdichtung der Ausflugszüge auf jeden Sonn- und Feiertag konnte ab 2016 bzw. 2018 das Angebot weiter verbessert werden. 2017/18 wurde zudem ein neues Konzept für die Intensivierung der touristischen Vermarktung auf den Weg gebracht. In diesem Zusammenhang ist der erfundene Produktname „Räuberbahn“ zu sehen, der sich an den für die arme Gegend früher typischen Räuberbanden orientiert und entsprechende folkloristische Aktivitäten in Szene setzt. Info-Stelen an den Haltestellen, Wegweisungen und Prospekte in gleichem Stil sollen einen „Identity“-Effekt erzielen. In der Woche nach unserem Vortrag wurde mit einigem publizistischen Aufwand und Politikprominenz der neue Haltepunkt Hoßkirch Königseggsee eröffnet, für den es Mittel aus einem EU-Programm gab.

Zum Ende des Vortrags wurde es noch einmal organisatorisch und ökonomisch. Frank von Meißner erläuterte das Zusammenspiel von Regionaler Öffentlicher Bahn, Stadt Pfullendorf, Land und Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) und den Geldfluss zwischen den Partnern und erklärte, mit welchen Methoden die äußerst rationelle und sparsame Betriebsführung ermöglich wird: Durch Beauftragung kleiner regionaler Baufirmen, minimale Verwaltungskosten (1/5 Stelle der Stadt Pfullendorf) und den Einsatz der nebenamtlichen Eisenbahnbetriebsleiter hält man bei den Unterhaltungskosten ein Budget von rund 100.000 € pro Jahr ein. Nicht verschwiegen werden sollte aber auch die Tatsache, dass die beteiligten Gemeinden sich ihre Bahn ca. 40.000 – 60.000 € in Form von Defizitübernahme in ihre Haushalte kosten lassen. Ein Fallbeispiel zur kostensparenden Einführung von GSM-Mobiltelefonen anstelle des von der DB genutzten, ungleich teureren GSM-R Zugbahnfunks illustrierte die Betriebsphilosophie der kleinen Bahn und ihrer hochmotivierten und findigen Akteure. Der Vergleich mit den „Stern & Hafferl-Überlebenskünstlern“ ist vielleicht nicht ganz abwegig!

Mit einer wohl hauptsächlich an eine breitere Öffentlichkeit gerichteten Zusammenfassung der volkswirtschaftlichen Vorteile und der umweltpolitischen Bedeutung des Schienenverkehrs auch außerhalb der Ballungszonen sowie zur Motivation der an dem Projekt Beteiligten schloss der Vortrag.

Wir danken Frank von Meißner für diesen exzellent vorbereiteten und spannend vorgetragenen Einblick in die Situation eines ungewöhnlichen „Start-Up“-Unternehmens und ziehen unseren Hut vor dem Enthusiasmus, Geschick und Weitblick der daran Beteiligten. Möge diese kleine Erfolgsgeschichte eine ebenso erfreuliche Fortsetzung finden! Der Autor dieser Zeilen ist auch überzeugt, dass Pfullendorf erneut das Ziel einer VFS-Tagesfahrt werden sollte!

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