16.03.2019 Regionalstadtbahn Neckar-Alb – Vortrag von Bernd Strobel

Rückblick von Dr. Peter Hartmann
16.03.2019   Regionalstadtbahn Neckar-Alb – Vortrag von Bernd Strobel
und im 2. Teil: Bilder aus vergangenen Tagen von Erms-, Echaz- und Ammertalbahn sowie von der Reutlinger Straßenbahn – zusammengestellt von Bernd Katz und Jörg Zimmer, Referent: Jörg Zimmer
Aktuelle verkehrspolitische Fragen und Projekte, insbesondere aus unserer Region, üben nach wie vor eine große Anziehungskraft auf unsere Mitglieder aus. Bei der Saalveranstaltung am 16.03.2019 war der Vortrag unseres Ehrenmitglieds Bernd Strobel zu dem spannenden Thema der in der Entstehung begrif-fenen Regionalstadtbahn Neckar-Alb zudem noch mit einem nostalgischen, bilderreichen Rückblick auf die Bahngeschichte in dem davon betroffenen Raum verbunden. Beide Aspekte des Schienenverkehrs zwischen Schönbuch, Neckartal und Schwäbischer Alb waren offenbar aus Sicht der Verkehrsfreunde so attraktiv, dass eine rekordverdächtige Zahl von 95 Personen im Saal der AV Alania zusammenkam, die auch wirklich nicht enttäuscht wurden.

Bernd Strobel, Ehrenmitglied und während seiner Zeit in der Unternehmensleitung von HzL und SWEG verständnisvoller Förderer von Fahrtveranstaltungen der Verkehrsfreunde Stuttgart, hatte zu unserer Freude vorgeschlagen, über das Regionalstadtbahn-Projekt Neckar-Alb zu referieren, mit dem er seit 2010 durch seine ehrenamtliche Mitarbeit im Vorstand des gemeinnützigen Vereins „Pro RegioStadtbahn e.V.“ vertraut ist. So hatten wir das Glück, aus erster Hand umfassend über die Entwicklung, den gegenwärtigen Stand und die voraussichtliche zukünftige Form dieses sehr ambitionierten und vielversprechenden Großvorhabens informiert zu werden. Der Vortrag wurde durch Grafiken, Karten, Fotos und Computer-Simulationen unterlegt, so dass auch die, welche mit der Geografie und Streckensituation im Neckar-Alb-Raum nicht so vertraut sind, die Bestandteile und Ziele dieses ÖPNV-Projekts gut nachvoll-ziehen konnten. Manchen dürfte es so wie dem Verfasser dieser Zeilen gegangen sein: Faszination und Skepsis wechselten ab.

Das Ganze ist fast zu schön und wünschenswert, um wahr zu werden – haben wir doch seit Jahrzehnten erleben müssen, welche Widerstände Interessenvertretungen unterschiedlichster Couleur einer rationalen und ökologisch verantwortlichen Verkehrspolitik immer wieder entgegensetzen. Andererseits gibt es aber auch fulminante Beispiele für die Realisierung derartiger scheinbar utopischer Entwürfe. Das unglaublich erfolgreiche „Karlsruher Modell“ ist hier an erster Stelle zu nennen, dessen Schöpfer, unser Ehrenmitglied Dr. Dieter Ludwig, anwesend war und mehrfach in bekannt akzentuierter Weise das Wort ergriff und Parallelen aufzeigte.

Wie Bernd Strobel anhand einer schematischen Karte darlegte, fehlt in der betroffenen Region im Ge-gensatz zu anderen Ballungszentren in Baden-Württemberg bisher ein umfassendes SPNV-Konzept. Zugleich erhält das Projekt seine Schubkraft durch die inzwischen untragbare Situation des Pendlerverkehrs mit seinem hohen Anteil des motorisierten Individualverkehrs. Diese wird durch die Siedlungsstruktur entlang der Täler des Neckars und seiner Nebenflüsse in der bergigen Region verschärft.

Andererseits verlangt letztere nach platzsparenden und linienförmigen Verkehrsmitteln – hier bietet sich die Schiene an. Anhand von Grafiken stellte er den hohen Anteil des Quell- und Zielverkehrs (aus der Region in die Schwerpunkte Tübingen und Reutlingen) dar, der heute zum größten Teil dem privaten Pkw zufällt, nicht zuletzt deswegen, weil die derzeitige Organisation des ÖPNV – zum Teil mehrfachen – zum Umsteigen zwingt. Ein Grundgedanke des RegioStadtbahn-Projekts ist deshalb, analog zum „Karls-ruher Modell“, die Verbindung von Regional- und Stadtverkehr mit den gleichen Fahrzeugen. Allerdings lässt sich das auch hier nur innerhalb gewisser Grenzen realisieren.

Anhand mehrerer Karten zeigte der Referent, wie das neue Schienenverkehrsnetz aussehen soll: Es baut auf der gegebenen Schieneninfrastruktur auf, die durch Doppelspurinseln, Elektrifizierung und ergänzenden Streckenneubau bzw. Wiederaufbau ertüchtigt werden sollen. Dabei geht es um folgende Strecken, Baumaßnahmen und Netzstruktur:

•    Zollern-Alb-Bahn (Abschnitt Tübingen – Albstadt-Ebingen; 60 km):
Elektrifizierung, 16 neue Stationen, zweigleisiger Ausbau Tübingen – Mössingen u. Wessingen – Bisingen, Doppelspur Frommern)

•    Talgangbahn (Albstadt-Ebingen – Onstmettingen, 8 km)
Streckenreaktivierung und Sanierung Brücken, Elektrifizierung, 11 Stationen
Linie S 1, Durchgehender Verkehr Tübingen Hbf – Onstmettingen mit Vollbahn-Fahrzeugen

•    Gomaringer Spange (Dusslingen – Reutlingen, 12 km)
Streckenneubau (unter teilweiser Benutzung der ehemaligen WEG-Strecke Reutlingen – Gomaringen), Elektrifizierung, 11 neue Stationen, Begegnungsabschnitt Ohmenhausen
Linie S 2, Mössingen – Reutlingen Hbf – Pfullingen (Teilstrecke S 21) mit Stadtbahnfahrzeugen

•    Echaztalbahn (Reutlingen – Honau – Engstingen, 15 km)
Neubaustrecke abseits der alten Trasse, Elektrifizierung, 100 ‰ Strecke Honau – Lichtenstein im Ad-häsionsbetrieb.
Linien S 5, Tübingen – Kleinengstingen und S 6, Bad Urach – Pfullingen (s.u.) mit Stadtbahnfahrzeugen

•    Ermstalbahn (Metzingen – Bad Urach, 10 km)
Elektrifizierung und Ausbau Bestandsstrecke
Linie S 6, Bad – Urach – Pfullingen mit Stadtbahnfahrzeugen

•    Ammertalbahn (Herrenberg – Tübingen, 21 km)
Elektrifizierung und Ausbau Bestandsstrecke
Linie S 4, Herrenberg – Tübingen mit Stadtbahnfahrzeugen

•    Stadtbahnlinie Tübingen
Zweigleisiger Streckenneubau Tübingen Hbf – Tübingen Waldhäuser Ost zur Erschließung der Innen-stadt und des Uni-, Klinik- und Wohngebiets nördlich der Stadt unter Vorbehalt eines Bürgerentscheids ca. 2020
Von und bis Waldhäuser Ost Linien S 11 (Mössingen), S 3 (Horb a.N.), S 4 (Herrenberg) und S 5 (Kleinengstingen) mit Stadtbahnfahrzeugen

•    Stadtbahnlinie Reutlingen
Zweigleisiger Streckenneubau Reutlingen Hbf – Innenstadt – Reutlingen Südbf, Streckenführung noch unklar, aber abweichend von der der ehemaligen Straßenbahn Reutlingen
Linien S 21 Ohmenhausen – Pfullingen, S 2 Mössingen – Pfullingen und S 5 Tübingen – Kleinengstingen mit Stadtbahnfahrzeugen

Die genannten Vorhaben sollen flankiert werden von der Einrichtung fünf neuer Haltestellen auf der Hauptbahn Plochingen – Tübingen zwischen Metzingen und Tübingen sowie weiterer fünf Haltestellen zwischen Tübingen und Rottenburg an der zu elektrifizierenden Neckartalstrecke Tübingen – Horb (Linien S 3/31, Horb/Rottenburg – Tübingen Waldhäuser Ost).

In einer späteren Phase soll auch die 15,5 km lange Teilstrecke der Killertalbahn der HzL/SWEG zwi-schen Hechingen (an der Zollern-Alb-Bahn) und Burladingen elektrifiziert und als S 7 in das RegioStadt-bahn-Netz einbezogen werden.

Eine vorgestellte Design-Studie für die Zwei-System-Stadtbahn-Triebwagen lässt ein dreiteiliges, nie-derfluriges straßenbahnähnliches Fahrzeug mit relativ hohem Anteil von Mehrzweckräumen für Fahrrä-der, Kinderwagen etc. erkennen. Die RegioStadtbahn will sich bei der Fahrzeugentwicklung und -beschaffung der Kooperation der etablierten deutschen Tram-Train-System Karlsruhe, Kassel, Saarbrü-cken und Chemnitz anschließen, um durch Bündelung der Beschaffung Kosten zu sparen. Deren Poten-tial wurde von Dr. Ludwig unterstrichen.

Die Gesamtkosten für das vorgestellte Stadtbahn-Projekt beziffert Bernd Strobel aufgrund älterer Be-rechnungen auf ca. 1 Mrd. € (aktuell wohl eher mehr), wovon der Bund und das Land 2/3 tragen würden, so dass die Kommunen und Kreise ca. 300 – 400 Mio € aufzubringen hätten. Das Projekt könnte seiner Meinung nach bis ca. 2030 abgeschlossen sein (Ammertal und Ermstal voraussichtlich 2022).

Der aktuelle Projektstand sieht so aus:

•    Die Aufgabenträger (drei Landkreise, zwei Städte und der Regionalverband) haben am 15.02.2019 einstimmig den Zweckverband „Regional-Stadtbahn Neckar-Alb“ gegründet.

•    Vorarbeiten für das sogenannte Modul 1 (Herrenberg – Tübingen und Reutlingen – Bad Urach) sind in vollem Gange; die Bauarbeiten (Doppelspurinsel, neue Haltepunkte und Elektrifizierung) beginnen vo-raussichtlich im April 2019.

•    Auf fast allen übrigen Strecken gibt es Vorplanungen.

Im Anschluss an diesen, mit viel Zustimmung und starkem Beifall aufgenommenen Vortrag über Gegen-wart und Zukunft des Schienenverkehrs in der Region Neckar-Alb folgte nach der Pause ein Rückblick auf dessen Vergangenheit, in bewährter Zusammenarbeit von Bernd Katz (Bildredaktion) und Jörg Zim-mer (Kommentierung). Hier konnte man einmal mehr staunen über die Fülle an historischem Bildmaterial sowohl aus Jörg Zimmers eigenen Beständen wie aus dem Archiv der Verkehrsfreunde Stuttgart, wobei Fotos von Jürgen Krantz, Otto Blaschke und Bernd Katz besonderes herausragten.

Neben Bildern von der Hauptstrecke und der Zollern-Alb-Bahn lag das Schwergewicht auf der Erms- und Echaztalbahn. Jörg Zimmer ging weit in die Geschichte der Bahnen zurück und erwähnte z.B. die Pläne, die Ermstalbahn mit aufwendigen Streckenführungen und Kunstbauten über Urach hinaus nach Münsingen auf der Albhochfläche zu führen. Nicht zuletzt durch die 1893 eröffnete Strecke Reutlingen – Kleinengstingen – Münsingen mit der Zahnradstrecke zwischen Honau und Lichtenstein kam es aber nie zu einer Realisierung dieses Projektes.

Dass Metzingen – Urach nur eine untergeordnete Rolle in der Stuttgarter Direktion spielte, demonstrierte der Referent an den jahrelangen vergeblichen Bemühungen der Gemeinde Urach, das unzulängliche provisorische Bahnhofsgebäude durch ein angemessenes zu ersetzen. Als dies schließlich in den 1930er Jahren geschah, war es eigentlich schon zu spät. Wie an anderen Stellen auch, höhlte nach dem Krieg der Individualverkehr und der konkurrierende Busbetrieb die verkehrliche Basis der Bahn aus. Es ist privater Initiative zu danken, dass der Personenverkehr ins Ermstal zurückkehrte. Aktuelle Fotos vom Bahnhof Urach mit dem durch eine Straße von der Bahnhaltestelle getrennten ehemaligen Empfangsge-bäude kontrastierten mit denen der umfangreichen Gleisanlagen früherer Tage.

Im Mittelpunkt der Fotos von der Linie Reutlingen – Münsingen (– Schelklingen) stand der Zahnradbetrieb auf der Steilrampe Honau – Lichtenstein. Die betrieblichen Mutationen vom reinen Dampfbetrieb über von den Zahnradloks der Baureihe 97.5 geschobene Schienenbusse bis zu den Zahnrad-Schienenbussen der Baureihe VT 97 wurden dokumentiert.

Den eigentlichen Höhepunkt dieses Rückblicks auf die „Vorgeschichte“ der RegioStadtbahn-Pläne bildete aber der Komplex Reutlinger Straßenbahn. Ihm gehört offenbar die besondere Liebe beider Autoren, und er fiel deshalb sehr ausführlich aus. Jörg Zimmer beteuerte aber, dass das Thema damit keineswegs ausgeschöpft sei und dass dieses im Grunde einen eigenen Vortrag wert sei. Dem stimmten auch viele Teilnehmer der Veranstaltung zu. Der Reutlinger Straßenbahnbetrieb ist weniger seines Umfangs wegen als vielmehr durch die komplizierten, im Grunde anachronistischen Betriebsverhältnisse und den „bunten“ Fahrzeugpark wirklich faszinierend.

Aus der Zeit der Dampfstraßenbahn stammten z.B. winzige Anhänger, die ihre Verwandtschaft mit denen der Straßenbahn Innsbruck – Hall in Tirol nicht leugnen konnten. Jörg Zimmer erklärte den Grund. Die Eingleisigkeit und die Streckenführung vom Bahnhof durch die engen Innenstadtstraßen erzwangen ei-nen blockartigen Fahrplan, mit dem jeweils zwei oder drei Züge kurz hintereinander über die gemeinsamen Abschnitte gelotst wurden. Am Südbahnhof gab es die berühmte niveaugleiche Kreuzung der Eninger Linie mit der Echaztalbahn – ein unter Enthusiasten beliebtes Fotomotiv, einschließlich Hp1 zeigender Formsignale für beide Strecken.

Schließlich wurde auch noch eine Streckenverlängerung beleuchtet, die das Neubaugebiet Or-schel/Hagen erschließen sollte, als die Einstellung des gesamten Betriebs eigentlich schon beschlossen war. So interessant und „romantisch“ der Reutlinger Betrieb auch war – man kann dem abschließenden Urteil von Jörg Zimmer nur zustimmen: Wenn man die Reutlinger Straßenbahn hätte erhalten wollen, hätte man sie neu bauen müssen. Damit war die Brücke zum ersten Teil dieser voll gelungenen Saalver-anstaltung geschlagen: Hoffen wir, dass die RegioStadtbahn genau das schafft und den innerstädtischen Schienenverkehr in Reutlingen nach modernen Prinzipien auferstehen lässt.

Den Referenten dieses Nachmittags und dem hinter den Kulissen wirkenden Bernd Katz sagen wir herz-lichen Dank für eine höchst informative und im zweiten Teil erinnerungsträchtige Veranstaltung!

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